Irgendwie haben wir uns daran gewöhnt, wir müssen immer besser werden, schlauer werden, dünner werden, sportlicher, effizienter. Jede Zeitschrift, die wir aufschlagen, hat irgendeinen Artikel zur Selbstoptimierung. Wenn wir im App Store oder Google Play Store gucken, gibt es Tausende von Apps, die uns sagen, wie wir noch besser werden können.
Aber die Frage ist doch: Wann werden wir denn da ankommen bei diesem Ideal? Wann haben wir diesen Punkt erreicht, dass du sagen kannst, ich bin gut so wie ich jetzt bin und ich bleibe so? Allein diese Apps, die andauernd aufblinken auf dem Handy.
Du hast heute erst 7.412 von 10.000 Schritten gegangen. Du hast noch nicht alle Aufgaben im Haushalt erledigt. Du warst heute 3 Stunden an deinem Handy. Immer wieder, du müsstest besser werden, du machst das und das falsch. Du hast das und das zu wenig gemacht. Es ist nie ein Genug. Das fängt schon bei uns in der frühen Kindheit an.
Kinder haben so unglaublich viele Hobbys heutzutage. Natürlich möchte ich jetzt nicht hier sitzen mit meinen jungen 34 Jahren und sagen, früher war alles besser. Nein, früher war nicht alles besser. Aber ich glaube, was besser war, war, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe und danach bin ich mit meinen Brüdern in den Garten gegangen oder in den Wald mit Freunden. Auf jeden Fall waren wir extrem viel draußen und haben gespielt.
Ich möchte jetzt keine Diskussion über Technik und Kinder anfangen. Das ist auch gar nicht hier das Thema. Ich möchte vielmehr fragen, wann haben die Kinder denn noch Zeit alleine zu spielen und müssen nicht zum Geigenunterricht, zum Schwimmunterricht, zum Karateunterricht. Die Kinder kommen morgens aus dem Unterricht und gehen zu einem Unterricht, Unterricht, Training, Unterricht. Sie müssen immer lernen, noch besser werden, noch schlauer, noch effizienter. Das muss doch gar nicht sein.
Wie ist das bei den Erwachsenen? Bei uns ist es nicht besser geworden. Dein BMI stimmt nicht, du müsstest dringend abnehmen. Du musst mal wieder ins Fitnessstudio gehen, damit du deine Muskeln aufbaust. Innerbetriebliche und außerbetriebliche Weiterbildungsangebote sollen angenommen werden.
Das klingt alles so negativ, merke ich gerade. Aber allein schon Social Media verschärft dieses Problem so enorm. Jeder stellt sich in seinem Profil dar, wie er gerne sein möchte, fotografiert sich mit seinen Erfolgen, fotografiert sich mit der perfekten Frisur. Das perfekte Urlaubsbild am Strand statt einem miesen Hotelzimmer. Beim Marathonlaufen statt auf dem Sofa mit einer Tüte Chips. Erfolgreich statt Streit mit der Freundin würde niemand posten. Alle anderen scheinen, wenn man das ernst nimmt, ein perfektes Leben zu haben. Sie alle sind sportlich, reich, erfolgreich, glücklich. Und das wirft die Frage auf, warum schaffe ich das denn dann nicht? Warum bin ich denn der einzige Mensch, der nicht gut genug ist? Das fördert so enorm die Selbstzweifel. Aber was kann man dagegen tun? Darum soll es eigentlich gehen.
Das macht dich authentisch und sympathischer. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass Menschen, die auch mal dazu stehen, dass sie etwas nicht können, deutlich sympathischer auf andere wirken. Weil natürlich der andere sich das auch wünscht, dass er auch dazu stehen könnte und weil er sieht, dass alle anderen auch nicht perfekt sind. Ich habe eine kleine Umsetzungsübung für dich, wenn du dich traust. Mache mal diese Woche bewusst ein Foto, was dich als nicht perfekt zeigt. Dann poste es bei Instagram oder Facebook, vielleicht morgens unrasiert, ungekämmt oder bei den Damen ungeschminkt und dann verlinke mich bitte auf diesem Foto, damit ich es auch sehe, damit ich mitkriege, wie sind die Reaktionen. Also verlinke mich und sagen wir mal, wir machen den Hashtag #ichbleibsowieichbin. Das würde ich total feiern, wenn das ein paar Leute mitmachen würden. Erinnere mich auch gerne daran, dass ich auch ein Foto poste. Frag ruhig nochmal danach, ich produziere jetzt gerade vor und ich kann nicht garantieren, dass ich in der Woche dann daran denke. :)
Versuch mal nicht immer alles auf einmal zu ändern. Du willst eine Sprache besser sprechen. Du willst schneller laufen. Du willst dünner sein. Du willst deinen Haushalt besser organisieren. Du möchtest mehr Zeit mit deinen Kindern haben. Gut, das ist sehr wichtig. Die Sachen sind aber ehrlich gesagt alle wichtig. Nimm dir mal nur ein Ziel vor und arbeite intensiv an diesem einen Ziel, statt zu meinen, du müsstest direkt alles auf einmal machen und die ganze Welt retten. Mach dieses Ziel realistisch und konkret. Also sag so etwas wie, ich werde 5 Kilo abnehmen statt ich werde meinen perfekten BMI haben oder aussehen wie Barbys Ken. Nimm dir vor 2 Stunden mehr Freizeit pro Woche zu haben, also andersrum 2 Stunden weniger zu arbeiten, statt direkt vorzunehmen überhaupt nie wieder eine Überstunde zu machen. Hör auf Mails auf dem Handy zu lesen, statt dir vorzunehmen nur noch einmal täglich deine Mails abzuarbeiten. Setze dir ein Ehe-Abend pro Woche statt jede freie Minute gemeinsam verbringen zu wollen. Ehrlich gesagt, Paare, die das wollen, haben auch keine langen Chancen, glaube ich, denn das nervt auf Dauer ganz schön, wenn man sich immer sieht und vor allem, wenn man sich gar nichts Neues mehr zu erzählen hat.
Wenn du merkst, dass du guckst, was der andere besser kann, verändere bewusst mal deine Wahrnehmung und frag dich stattdessen, was du denn besser kannst als derjenige, worin du richtig stark bist. Schau auf deine Stärken statt auf deine Schwächen. Fördere deine Stärken, statt zu versuchen deine Schwächen auszugleichen. Und überprüfe deine Ziele. Willst du wirklich die Beförderung? Und warum willst du sie? Oder würdest du nicht viel lieber weniger arbeiten und dafür auf die Beförderung oder eine Gehaltsstufe mehr zu verzichten?
Ja, das ist eine ganz andere Folge, als du das sonst von mir gewöhnt ist. Ich bleib so wie ich bin. Ich bin inzwischen ziemlich zufrieden mit mir. Aber auch ich habe natürlich immer wieder das Gefühl, ich muss noch besser werden, ich muss mich noch optimieren. Es tut gut aus diesem Optimierungswahn zumindest mal eine Zeit lang auszusteigen. Und wenn es nur ist, dass du sagst, einen Monat werde ich nichts mehr an mir ändern. Einen Monat werde ich mich nicht optimieren, nur diesen einen Monat, vielleicht eine Woche. Wenn du ganz klein anfangen willst, vielleicht sogar nur einen Tag.
Ignoriere alle Hinweise von irgendwelchen Optimierungs-Apps. Hör auf in irgendwelchen Selbstverbesserungs-Ratgebern zu lesen. Dann habe ich eine letzte kleine Bitte an dich: Nur weil du aufhören willst dich zu optimieren, de-abonniere jetzt bitte nicht diesen Podcast. Ich sage nicht, dass du aufhören sollst danach zu streben dich zu verbessern. Aber dich eben nur auf Sachen zu konzetrieren, die dich wirklich stören. Wie das zu viele Arbeiten, deine falsche Organisation oder deine für dich nicht passende Organisation. All das kann man natürlich optimieren.
Ich möchte nur dazu raten nicht zu versuchen immer alles auf einmal zu machen und dich dabei schlecht zu fühlen. Niemand ist perfekt. Das gilt nicht nur für dich, das gilt für alle anderen da draußen und das gilt auch für mich. Die Gedanken sind ein bisschen angestoßen worden durch ein Buch, was ich dir ans Herz legen möchte.
Ich bleib so scheiße, wie ich bin von Rebecca Niazi-Shahabi.
Wahrscheinlich kannst du dir den Titel jetzt besser merken als den Namen. :)
Das war’s für heute. Beim nächsten Mal gibt’s wieder ein klassischeres Thema. Da geht es um Dinge, die du noch in diesem Jahr erledigen solltest. Also schau wieder ein. Ich freue mich drauf. Ciao!
Was denkst du?